Ich entschließe mich als weißer, global gesehen in jeder Hinsicht privilegierter Mensch ohne offenkundige Sorgen zum Freitod. Meine Gesellschaft sagt mir das ist weder normal noch wünschenswert, daher hier ein Erklärungsversuch.
Ich bin ein eigenartiger Mensch. Das war immer schon so. Seit dem Kindergartenalter bin ich meinen ErzieherInnen mit meinem – wie mir auch damals schon mit Augenzwinkern attestiert wurde – ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn auf die Nerven gegangen. Gesellschafts- oder Brettspielen hab ich mich immer verweigert, der Spaß daran manche gewinnen und andere verlieren zu sehen hat sich mir nie erschlossen. Mit 12 fing ich lautstark an mich über das, was wir heute als imperiale Lebensweise bezeichnen zu echauffieren. Ich fing total süß an Konzerne zu boykottieren, konnte random facts aus dem Schwarzbuch Markenfirmen rezitieren und ging meinen MitschülerInnen mit meinem andauernden Gerede über Kolonialgeschichte, die historische Schuld europäischer Gesellschaften und die neokoloniale Ausbeutung Afrikas auf die Nerven. In der bürgerlichen Gesellschaft Salzburgs, noch dazu in einer Eliteschule, stieß ich nicht immer auf viel Gehör. Ich entwickelte einen starken Weltschmerz. Bis heute spüre ich meine Schwester in Tanzania, die jetzt gerade während ich diesen Text tippe schreit als würde man sie schälen weil ihr Kind gerade den Hungertod gestorben ist – nachdem Konzerne, von unseren „Entwicklungshilfegeldern“ finanziert, ihr Land geraubt haben. [Das ist natürlich eine Hausnummer. Meine leibliche Schwester – möge sie mir hoffentlich verzeihen und meine Liebe nicht in Frage stellen – ist genau so privilegiert wie ich.]
Der Punkt ist, nur in Ausnahmezuständen war es mir möglich mich vom Zustand der Welt zu distanzieren – beim Tanzen, beim Sex, beim Kuscheln. Ansonsten haben mich meine – wie ich gelernt habe – hyperaktiven Spiegelneuronen fest im Griff. Dementsprechend war ich als Jugendliche wohl mehr Doomer als Bloomer. Auf apolitische Hippies, die mit Yoga und Dauerlächeln die Welt zu verbessern glaubten konnte ich immer schon ausgelassen schimpfen. Auch heute halte ich es für eine der schlimmsten Verirrungen unserer Gesellschaften das Achten auf die eigene Gesundheit mit ethisch annehmbaren Verhalten gleichzusetzen.

Mein Leben wurde leichter als ich lernte die Menschheitsgeschichte als eine der sozialen Kämpfe zu verstehen und meine Rolle in der global justice Bewegung fand. Also jener globalen Bewegung, die sich ab Mitte der 90er gegen die Ausweitung von Konzernmacht (vor allem durch die Freihandelsagenda) und für umfassende Demokratisierung mit dem Slogan „Another World Is Possible – eine andere Welt ist möglich“ stellte. Ihr Ausläufer in Österreich ist Attac (leider alleinig, nachdem die IL hier nie so richtig Fuß fassen konnte). Meine gesamte Jugend, meine vielen Jahre in afrikanischen Ländern, und auch meine 3,5 Studiengänge liefen darauf hinaus für Attac zu arbeiten. Ehrenamtlich versteht sich. Ich war angekommen als man mich in diversen Inhaltsgruppen willkommen hieß, ich mein Wissen und meine Fähigkeiten rund um Handelspolitik, Klimakollaps und Ernährungssystem endlich auch einsetzen konnte. Es waren die glücklichsten Jahre meines Lebens. Ich hatte Existenzberechtigung.
Mein von mir nicht gewähltes ausbeuterisches Dasein als Weiße in Mitteleuropa erfuhr endlich ein wenig Legitimation. Ich bin aufgeblüht, habe abseits der 2-6 Stunden, die ich im Normalfall mein Leben lang pro Nacht geschlafen hatte endlich für den Wandel gekämpft anstatt nur in meinen Gedanken und meinem Gespür gefangen zu sein. Jahrelang habe ich mich so (zeitglich gesehen) hauptberuflich und (Entlohnung betreffend) doch ehrenamtlich für Attac entschieden. Ich wurde in den Vorstand geholt. Ich wurde Obfrau. Mein Ziel als solche war es, die Realität von Attac näher an seine Erzählung zu bringen: Attac sollte tatsächlich Bewegung werden; die Inhalts-, Querschnitts- und Regionalgruppen sollten wieder aufblühen; wir sollten nicht mehr nur mit inhaltlicher Expertise sondern auch mit radikalem Aktionismus, der dem Zustand der Welt gerecht wird in die Medien kommen. Damit hab ich mich nicht sonderlich beliebt gemacht bei den werten Altvorderen von Attac Österreich. Letztendlich wurde ich hinausgeputscht. Das ist natürlich meine Erzählung. Die der anderen ist klarerweise eine andere.[*] Die ich aber bis heute nicht kenne, da man mir seit nunmehr einem Jahr das Gespräch verweigert – trotz mehrmaligen Bitten meinerseits und auch durch andere AktivistInnen.
Meine Realität ist: alles was ich mir mühsamst aufgebaut hatte um mit meinem Verständnis für globale Realitäten umzugehen brach zusammen. Der totale Identitätsverlust. Plötzlich hatte ich keinen Kontext mehr, all mein Wissen wurde wieder umgewandelt in nutzlose Informationen, da es nicht mehr anwendbar war. Mir wurde eine Post-traumatische Belastungsstörung diagnostiziert, ständig erlebte ich die Gemeinheiten wieder, die ich durch den Attac Vorstand – durch die Menschen, die ich so viele Jahre zuvor schon bewundert hatte, von denen ich lernen wollte – erfahren habe. Meine Existenzberechtigung war wieder weg. Plötzlich war ich wieder nur mehr Weiße. Privilegierte. Ausbeuterin. Ich weigere mich diese Existenz akzeptieren zu müssen. Und ich weigere mich in einer Welt leben zu müssen, in der mich die vermeintlichen Gutmenschen mich stärker zur Feindin machen als diejenigen mit denen ich mich gerne anlege: den politischen und wirtschaftlichen Eliten weltweit.
Warum ich nicht leise gehe? Habe ich nicht Angst Attac hiermit zu schaden, wenn es mir doch offensichtlich so wichtig ist?

Nun, ich habe immer schon laut gelebt. Viele der Menschen, die ich bewundere waren ihr Leben lang überzeugt, revolutionäres Verhalten beginne mit dem Offenlegen von Realitäten. Die Phrase „speak truth to power“ hat mich sicherlich in der frühen Jugend schon geprägt als ich mich mehr und mehr mit dem civil rights movement in den USA beschäftigt habe. Und ich möchte nicht, dass mein Freitod als die Handlung einer offenbar einsamen, nicht geliebten, hoch verschuldeten …. Verzweifelten fehlinterpretiert wird. Im Gegenteil: ich komme aus familiären Verhältnissen, die ich jedem Kind auf dieser Welt wünschen würde; ich lebe eine Beziehung mit einer Person, die mich voll und ganz in meiner Politik und in meiner Herangehensweise an Beziehung liebt und frei sein lässt; ich habe einen Job, der mich erfüllt (wer kann das eigentlich noch über sich selbst sagen!), fordert und den ich als mehr als nur sinnvoll erachte, mit Chefitäten, die man sich besser nicht erträumen könnte; ich habe keine finanziellen Sorgen und eine wunderschöne Wohnung in einer der lebenswertesten Städte weltweit; und hatte das Privileg, die Welt bereisen und von wundervoll unterschiedlichen Menschen lernen zu können.

Ich lebe ein Leben, das wohl viele Menschen beneiden würden. Und ich verspüre natürlich tiefen Schmerz in der Angst, meinen geliebten Menschen mit meinem Freitod zu kommunizieren, sie wären mir nicht genug. Das ist es nicht. Ich spüre nur den Rest der 7 Milliarden Menschen auf unserem Planeten genauso wie euch und bilde mir ein eure Liebe nicht genießen zu dürfen solange ich für das Wohlergehen der anderen nicht zumindest auch kämpfe. (Sind wir froh, dass nicht alle Menschen die Welt so wahrnehmen wie ich, sonst wären wir als Spezies wohl nicht überlebensfähig.)
Und bezüglich Attac – nein, ich bin fest davon überzeugt, dass es jetzt erst recht Solidaritätsbekundungen für Alexandra Strickner schneien wird, sie ist unglaublich gekonnt darin Situationen zu ihren Gunsten zu drehen und spätestens mit meiner Geschichte wird sich erst recht niemand mehr trauen Veränderung zu fordern. Attac als Bewegung ist ohnehin tot – allen Alibi-Bemühungen mit der neuen Stelle zum Trotz (wobei ich ihnen ja sogar wirklich glaube, dass sie es nicht verstehen, dass es einen Unterschied zwischen Information & Aktivierung, zwischen AktivistInnenbetreuung und Bewegungsaufbau gibt). Attac als NGO andererseits ist so professionell aufgestellt (im positiven Sinne) und ohnehin schon so sehr an „SpenderInnenfreundlichkeit“ orientiert (im absolut negativen Sinne), dass es möglich sein wird und nicht schaden wird, sich von den radikalen Auswüchsen meines Hirnes zu distanzieren. Ich stand immerhin für radikalen Systemwandel, mutigen Aktionismus, der einem auchmal ins Gefängnis bringen darf, und für die Verbindung von Attac nicht nur mit Gewerkschaften und anderen NGOs sondern auch mit der antifa, mit Geflüchtetenbewegungen, mit Bewegungen aus dem Globalen Süden und den Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen durch Konzerne, und mit der Klimagerechtigkeitsbewegung. Da kann Attac zwar offiziell überall mit, de facto scheitert es aber an Generationenkonflikten, wie mir scheint.
Warum ich mich nicht einfach anders wo engagiere? Das ist eine andere Geschichte, die sich nicht erzählen lässt ohne die Interna von Gruppierungen, die an mir nichts verbrochen haben, offenzulegen. Grundlegend geht es darum, dass ich als gelernte Ökonomin eben auch der Überzeugung bin die Hebel sind am Wirtschaftssystem und damit thematisch eben zu Attac gehöre. Aber vor allem geht es ganz einfach auch um Desillusionierung und um ein Trauma, das sich immer wieder breit macht und mich arbeitsunfähig macht. Und es geht um die Sturheit nicht akzeptieren zu wollen, dass Menschen ihre Egos und ihre Machtgier vor die Sache stellen und sich dann trotzdem als die Übermenschen der kritischen österreichischen Zivilgesellschaft hinstellen.
…Schrieb Sie wenige Stunden bevor sie sich dem Trockeneis hingab weil sie nicht über die Kränkung der eigenen Person hinweg kam. 😉 Der Mensch – letztendlich eben immer gelebter Widerspruch…
Nein, mir ging es tatsächlich nie um mein Ego, ich war nicht Obfrau weil ich mir vom Titel etwas versprach, sondern weil ich die Zeit reinstecken wollte und konnte und weil ich Ideen und Elan hatte. Ich war immer lieber im Hintergrund, habe lieber über interne Strukturen und die Strategien für die nächsten Jahre nachgedacht als für Fernsehinterviews zu dienen oder auf Großdemos zu sprechen. Ob man mich kennt war mir bis zur Entscheidung zum Freitod interessanterweise immer egal. Aber ich lass mir nicht meine Stimme nehmen, mich diffamieren, und verschwinde dann im Nichts. Dafür bin auch ich zu stolz.
Viel wichtiger aber: ich gehe nicht heimlich, still und leise weil ich hoffe meine Geschichte kann einen Impuls geben und dafür starte ich einerseits eine kleine Projektausschreibung und vergebe €10.000 und verschenke andererseits meine Instrumente in der Hoffnung, sie finden an Menschen, die damit ermächtigende Musik machen werden. Denn ich bin der festen Überzeugung, die psychischen Belastungen die viele Linke verspüren können gemildert werden. Und Revolution ohne Musik geht nicht. Oder macht zumindest keinen Spaß.
Die Message dieser Website ist eigentlich sehr einfach:
Ihr Linken da draussen: Es macht einen Unterschied wie ihr einander behandelt. Menschen sind nicht austauschbar, schätzt einander.

[*] Ein großer Teil meines Traumas kommt durch die Diffamierung und den Verlust meiner Stimme. Ich hätte es mir nie vorstellen können von meinen Idolen so behandelt zu werden, aber nach den letzten 1.5 Jahren mach ich mir keine Illusionen, dass die damaligen Attac Vorstandsmitglieder nicht auch nach meinem Tod ihre eigenen Wahrheiten kundtun. Daher soll sich jede Interessierte hier gern selbst ein Bild machen. Vieles war natürlich ambivalent. Für mich bleibt Fakt: jemandem das Gespräch zu verweigern nimmt die menschlicfhe Würde. Das ist nicht unschuldig.
Um die in Aussicht gestellte Begegnung vor Gericht zu vermeiden wurden am 10.6.2020 die Namen und email-Adressen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der involvierten Personen unkenntlich gemacht. Die Seite um ein Impressum erweitert. 15.6.2020 ew
Meine Erzählung der Geschehnisse
Brief an Vorstand bzgl Bewegungsaufbau und Konzept für die neue Stelle
Email Kommunikation rund um die Eskalation